Sprachwissenschaft
Över dit un dat
Wie spricht der Norden? Sprachwissenschaftler untersuchen die Entwicklung des Plattdeutschen
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Von Amory Burchard 4.8.2008 0:00 Uhr
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Von Amory Burchard 4.8.2008 0:00 Uhr
„Moin, moin, wo geiht di dat?“ – „Man so, wat mutt, dat mutt.“ Wer im Urlaub an Nord- und Ostsee oder bei einer Radtour an der Elbe Einheimische beim Plattschnacken belauscht, bekommt einen authentischen Eindruck, der zum Landleben gehört wie frisch gepulte Krabben oder Milch vom Bauern. Für Sprachwissenschaftler tut sich hier ein reiches Forschungsfeld auf. Jetzt finanziert die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) die erste Studie zum Niederdeutschen im gesamten Sprachraum zwischen Nord- und Ostsee, Oder und Rhein. Die DFG fördert das groß angelegte Projekt „Sprachvariation in Norddeutschland“ (SIN) für zunächst zwei Jahre an sechs Universitäten. Beteiligt sind Hamburg, Kiel, Frankfurt (Oder), Potsdam, Bielefeld und Münster. Die Potsdamer Arbeitsstelle hat Ende Juli in Dahme (Spreewald) mit Interviews und Tonaufnahmen begonnen.Erste Ergebnisse einer Pilotstudie in Kiel liegen bereits vor. „Die Leute in der Region haben eine überwiegend positive Einstellung zum Niederdeutschen“, sagt Michael Elmentaler, Professor in der Niederdeutschen Abteilung des Germanistischen Seminars der Christian-Albrechts-Universität Kiel. Vor 30 Jahren sei der Dialekt noch stark stigmatisiert gewesen. Die Eltern der mittleren Generation hatten Angst, dass ihre Kinder in der Schule nicht mitkommen, wenn sie mit Plattdeutsch als Muttersprache aufwachsen. Heute zeichnet sich eine Trendwende ab: „Die Eltern erkennen die Vorteile einer mehrsprachigen Erziehung.“ Elmentaler vermutet, dass sich die Sprecherzahlen im ohnehin dialektintensiven Schleswig-Holstein stabilisieren. Die Wissenschaftler wollen nicht nur linguistische Aspekte darstellen, sondern haben auch ein soziologisches Interesse. Wo ist Platt stigmatisiert und wo wirkt es womöglich als gesellschaftlicher Kitt und fördert den sozialen Zusammenhalt? Im Hamburger Raum hat Projektleiterin Ingrid Schröder, Professorin am Institut für Germanistik, in einer Vorstudie einen Rückgang des Niederdeutschen festgestellt. Überraschenderweise werde in den Vierlanden, ehemaligen Flussinseln der Elbe, bei Obstbauern und in Gärtnereien heute weniger Plattdeutsch als noch vor zehn Jahren gesprochen. Möglicherweise wiederholt sich hier, was sich schon vor zweihundert Jahren zwischen Berlin und Brandenburg abspielte. Die Stadtsprache, ein aus vielen Einflüssen zusammengesetzter „Metrolekt“, verdrängt allmählich das Niederdeutsche.Bei dem DFG-Projekt geht es denn auch um den „kontaktbedingten Sprachwandel“ des Niederdeutschen: Wie haben sich Hochdeutsch und Platt wechselseitig beeinflusst? Was ist zu Beginn des 21. Jahrhunderts überhaupt noch übrig vom Niederdeutschen? Die Forscher wollen ein genaues Bild der Sprachwirklichkeit zeichnen. In den 18 Dialektregionen wählen sie jeweils zwei Orte aus, in denen je vier Frauen im Alter von 40 bis 55 Jahren sprachwissenschaftlich untersucht werden. Befragt werden zwei Sprecherinnen mit Plattkenntnis und zwei, die Hochdeutsch sprechen. Warum nur Frauen? Bei ähnlichen Forschungsprojekten haben meist Männer im Vordergrund gestanden, sagt Elmentaler. Auf ein Geschlecht müsse sich eine Untersuchung mit so vielen räumlichen Variablen nun einmal konzentrieren, um vergleichbare Daten zu erhalten. Von Frauen sei aus der Forschung bekannt, dass sie sprachbewusster sind und qualifizierter über ihre Einstellungen zum Plattdeutschen sprechen können. [...] Das Projekt im Internet: www.sin-projekt.de (Erschienen im gedruckten Tagesspiegel vom 04.08.2008)
http://www.tagesspiegel.de/magazin/wissen/;art304,2585311
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